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Mit Herz und Verstand

- das BIOS Erfolgsmodell des präventiven Opferschutzes -

Klaus Böhm, Richter OLG a.D., ehem. 1. Vorstandsvorsitzender BIOS a.D.

Liebe Mitglieder des Vereins Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS-BW) e.V.,

liebe Mitarbeiter*innen der Einrichtungen von BIOS-BW (im Folgenden nur: BIOS),

sehr geehrte Damen und Herren,

als am 11.11.2008 mit einem Festakt in den Räumen des Amtsgerichts Karlsruhe in Anwesenheit zahlreicher Gäste aus Politik, Wissenschaft und Medien die Forensische Ambulanz Baden (FAB) eingeweiht wurde, war Barack Obama gerade als neuer US-Präsident gewählt worden und wir haben seinen damaligen Wahlspruch „Yes wie can“ zu  dem unseren gemacht: Nach nunmehr 16 Jahren Arbeit oder sagen wir besser „Kampf für den präventiven Opferschutz“ ist es für meine Frau und mich als 1. Vorsitzenden des Vereins Zeit, Bilanz zu ziehen.

 

Was haben wir und alle unsere Mitstreiter*innen in den vergangenen Jahren erreicht? Es war eine derart bewegende und ereignisreiche Zeit, dass wir an dieser Stelle nur einige besonders herausragende Punkte aufzählen können und vieles doch so Wichtige unbeleuchtet bleiben muss.

 

Die Forensische Ambulanz Baden (FAB)

 

Aus der mit „Null-Euro“ gestarteten Einrichtung ist heute die größte Forensische Ambulanz Deutschlands geworden, welche über die Jahre hinweg mit ihrer Schwesterambulanz in Koblenz mehr als 6.000 rückfall-präventive Nachsorgebehandlungen teils hochgefährlicher abgeurteilter Straftäter durchgeführt hat.

 

Zwar gibt es im Bereich der therapeutischen Nachsorge noch immer keine valide Rückfallforschung, aber ich bin mir schon aufgrund unserer Zusammenarbeit mit  Prof. Dr. Frank Urbaniok vom PPD in Zürich ganz sicher, dass wir im Sinne des präventiven Opferschutzes ungemein viele Straftaten verhindert und damit zahlreiche potenzielle Opfer vor gewalttätigen Übergriffen geschützt haben.

 

Dafür an dieser Stelle meinen Dank an das Team der FAB und der PAKo, für die ich stellvertretend Dr. Heinz Scheurer, Michaela Stiegler, Samira Motekallemi, Sarah Allard und Petra Oppen nennen möchte.

 

Ohne die Mithilfe der zahlreichen Gerichte in Baden-Württemberg und des Justizministeriums in Stuttgart - insoweit meinen ausdrücklichen Dank an Frau Justizministerin MdL Marion Gentges - wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen.

 

Schon die ursprüngliche Verwaltungsvorschrift Forensische Ambulanzen vom 21.06.2010, für deren Entstehung und Fortentwicklung wir von BIOS immerwährend gekämpft haben, war ein erster Meilenstein im präventiven Opferschutz. Es ist noch immer bundesweit einmalig, dass ein Gericht eine Nachsorgetherapie im Rahmen der Führungsaufsicht, der Bewährung oder jetzt sogar einer Erziehungsmaßregel nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) anordnet und der Justizfiskus für die Kosten aufkommt. Insoweit haben die Verantwortlichen - hier möchte ich den ehemaligen Ministerialrat im Justizministerium in Stuttgart Prof. Dr. Rüdiger Wulff und seinen Nachfolger Dr. Joachim Müller nennen - erkannt, dass durch diese Weitsicht nicht nur schweres menschliches Leid verhindert werden kann, sondern sich dies für das Land jedenfalls mittelfristig auch kostenmäßig rechnet.

 

Deshalb bleibe ich bei meiner Aussage:

 

Baden-Württemberg - Musterland im Opferschutz.

 

Die Opfer- und Traumaambulanz Karlsruhe/Baden (OTA)

 

Richtig stolz dürfen wir darauf sein, dass unsere seit 2010 tätige Opfer- und Traumaambulanz Karlsruhe/Baden (OTA) nach jahrelangem oft streitigem und nervigem Werben am 19.01.2024 als offizielle Nachsorgeambulanz des Landes Baden-Württemberg vom Regierungspräsidium Stuttgart nach Maßgabe des SGB XIV anerkannt worden ist.

 

Wir gehen davon aus, dass in diesem Jahr in Karlsruhe und an den Außenstellen der OTA in Pforzheim, Offenburg, Heidelberg, Mannheim und Heilbronn inklusive der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mehr als 300 Opfer von Gewalt- und Sexualstraftaten eine Akutversorgung zur Verhinderung des Eintritts schwerer Traumafolgen erhalten können.

 

Dafür an dieser Stelle meinen Dank an das Team der OTA, für die ich stellvertretend Marianne Mahr, Rebecca Stracke und Karin Gericke nennen möchte.

Ohne Frau Dr. Stefanie Franke vom Regierungspräsidium in Stuttgart, welche die alternative Ausrichtung der OTA anerkannt und befördert hat, wäre diese Entwicklung aber kaum möglich gewesen. Insoweit hat sich unsere Zielsetzung der fachgerechten  Behandlung in einem opfer-freundlichen Setting und nicht im Rahmen von psychiatrischen Einrichtungen durchgesetzt.  Darauf kann der Verein stolz sein.


Das BIOS-Memorandum

 

Beinahe in Vergessenheit könnte geraten, dass der Verein eine eigene Vorschrift in der deutschen Strafprozessordnung aufweisen kann. So hat das in Anlehnung an das Schweizer Recht dem Bundesministerium der Justiz am 03.03.2009 vorgelegte Memorandum zur Verbesserung des präventiven Opferschutzes – das sog. BIOS Memorandum – dazu geführt, dass durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) vom 29.06.2013 die Vorschrift des § 246a Abs. 2 StPO in die deutsche Strafprozessordnung eingeführt wurde.

Diese Norm sieht erstmals eine gesetzliche Regelung zur Begutachtung von Sexualstraftätern vor, wonach nunmehr zum Schutz von Kindern im gerichtlichen Verfahren Angeklagte von einem Sachverständigen über ihren Zustand und die Behandlungsaussichten untersucht werden sollen, um festzustellen, ob eine Therapieweisung ausgesprochen werden kann.

 

Nicht verwirklichte Hoffnungen und Enttäuschungen

 

Es erfüllt uns immer noch mit Unverständnis, dass wir unser BIOS-Präventionsprojekt für sog. tatgeneigte Personen „Stopp-bevor-was- passiert!“ nicht dauerhaft bundesweit aufrechterhalten konnten und  unseren Stützpunkt in Berlin aufgeben mussten. Auch ist eine alle Bereiche umfassende Finanzierung der therapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen bisher nicht gelungen, aber hier ist BIOS auf dem richtigen Wege.

 

Natürlich gab es in den zahlreichen Einrichtungen des Vereins in den vergangenen 16 Jahren bis zuletzt auch Probleme, Konflikte und schwere menschliche Enttäuschungen. Vielleicht wären manche mit weniger Vertrauensseligkeit in Mitarbeiter*innen und Weggefährten zu verhindern gewesen. Den Erfolg von BIOS und seinen Einrichtungen haben diese dunklen Wolken aber nicht tangiert.

 

Der Verein ist heute finanziell ausgesprochen gesund, verfügt über zwei weitgehend abbezahlte Immobilien und wird in vielen seiner Bereiche als „systemrelevant“ eingestuft. In 2024 wird BIOS nach derzeitiger Beur-teilung das zweitbeste Ergebnis seiner Geschichte erzielen.

 

Mit Herz und Verstand

 

Für meine Frau und mich war es immer wichtig, die Interessen des Vereins über eigene karrieremäßigen oder pecunäre Ziele zu stellen. Auch gab und gibt es für uns beide keine Unterschiede, alle Mit-arbeiter*innen  sind für uns gleich wichtig, egal welche Ausbildung sie haben oder welche Tätigkeit sie vornehmen. Die „Reinigungskraft“ oder modern gesagt das „Clean-Team“ war und ist für uns genauso wichtig und menschlich wertvoll wie der „Akademiker“ bzw. die „Akademikerin“.

 

Wir führten mit Herz und Verstand, so beschreibt dies meine liebe Frau. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum der Verein heute einen so ungemein wertvollen Schatz aufweist: Sehr viele hochfähige und motivierte Mitarbeiter*innen in allen seinen Bereichen, vor allem der FAB, der PAKo, der OTA, dem TG-Team, der Verwaltung, der IT, der BIOS-Akademie, dem Marketing und auch das PSZ will ich nicht vergessen.

 

Alle zeichnet der Einsatz für den präventiven Opferschutz aus. Hier eine Person herauszugreifen, birgt die Gefahr, dass man wichtige und liebgewonnene Weggefährten verletzen könnte. Das wollen wir nicht. Aber jeder Verein könnte sich glücklich schätzen, so ehrliche und verlässliche Mitarbeiter wie einen Ludwig Mohrbacher in seiner Mitte zu haben. Gleiches gilt für Manuel Christofel - dem Leiter der BIOS-IT.

 

Die Stärke von BIOS war es auch immer, auf gesellschaftliche, gesundheitliche und rechtliche Änderungen oder gar Risiken - wie etwa die Corona-Pandemie - schnell und effektiv reagieren zu können. Das sollte nicht verloren gehen.

 

In den letzten Jahren hat sich schon bei den internen Entscheidungs-prozessen in den vielen Einrichtungen von BIOS viel geändert. Thera-peutische Beurteilungen finden ohnehin schon in den Leitungsbereichen statt. Aber auch übergreifende organisatorische Fragen werden heute fast immer im BIOS-Leitungsteam zunächst gemeinsam besprochen und getroffen, was letztendlich zu einer starken menschlichen Bindung vieler Mitarbeiter*innen an den Verein geführt hat.

 

Prof. Dr. Frank Urbaniok aus Zürich hat uns neulich über sog. „Macher und  Kollaterale“ berichtet. Zwar hat die des bisherigen 1. Vorsitzenden oft dominante Führung sicher zum Erfolg von BIOS beigetragen, sie hat in den letzten 16 Jahren aber auch persönliche Verletzungen bei ehe-maligen oder noch tätigen Weggefährten hinterlassen. Das tut mir als         1. Vorsitzenden leid und deshalb an dieser Stelle die Bitte um Verständ-nis und der Versicherung, dass bei allen Kontroversen immer das Wohl des Vereins in den Vordergrund gestellt werden sollte.

 

Alles Ding hat seine Zeit

 

Nun steht der Verein vor erheblichen Veränderungen. Weg von Herz und Verstand und nach Willen des bisherigen Gesamtvorstandes hin zu einem modern geführten mittelständischen Wirtschaftsunternehmen. Das gemeinsam mit den leitenden Mitarbeitern*innen erarbeitete Alternativkonzept fand kein Gehör. Unser Ziel und Hoffnung ist es, dass die neuen Verantwortlichen die Veränderungen - unter Einbeziehung des Leitungsteams und aller Mitarbeiter*innen - so gestalten, dass BIOS eine realistische Zukunft hat und von Menschen geleitet wird, für die der präventive Opferschutz - dem Markenkern des Vereins - auch eine Lebensaufgabe sein wird.


Meine Frau und ich danken für Ihren Einsatz und die oft jahrelange Treue und Verbundenheit zum Verein. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft und die neuen Aufgaben alles Gute.

 

 

Ihr Klaus und Ihre Heike Böhm            Karlsruhe, den 12./13.12.2024

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